Vollwappen
Ein Vollwappen (Kurzwort für „vollständiges Wappen“; französisch armoiries complètes, armoiries pleines; englisch full coat of arms) ist in der Heraldik die Darstellung von mindestens einem Wappenschild mit den dazu gehörigen obligatorischen Teilen des Oberwappens über dem Schild:
„(Das Vollwappen) besteht aus zwei Hauptteilen, dem Schild und dem Oberwappen (..)“
Geschichte
Vollwappen in der noch heute üblichen Zusammensetzung mit dem Schild und dem Oberwappen (Helm mit Helmzier und Helmdecke) sind erst seit dem 13. Jahrhundert im Wappenwesen gebräuchlich.
„In der Anfangszeit der Heraldik (12. Jahrhundert) wurde allein der Schild heraldisch verwendet. Von allen Waffen des Ritters bildetet er allein das „Wappen“. Erst später (im 13. Jahrhundert) tritt der Helm (und mit ihm Helmdecken und -zier) als Bestandteils des Wappens zum Schild hinzu.“
Nach Walter Leonhard hat sich diese Zusammenstellung aus der Turnierheraldik entwickelt.[1] Sie ist bis heute überall im europäischen Wappenwesen nachweisbar, obwohl sie je nach kulturreller, lokaler oder zeitgenössischer Vorliebe teilweise von Zusammenstellungen mit mehr oder weniger oder anderen heraldischen Elementen zurückgedrängt sein kann. Beispielsweise kann in der englischen Heraldik in einem gewissen Sinn der „Crest“ allein (ohne Helm und Schild) als eine Art „Vollwappen“ dienen.
Begriffsgeschichte
Der Ausdruck „Vollwappen“, mit dem eigentlich ein „vollständiges Wappen“ von einem „unvollständigen Wappen“ abgegrenzt wird, erscheint erst seit dem 19. Jahrhundert in größerem Umfang in der heraldischen Literatur.
Darstellung
Den Hauptbestandteil eines Wappen bildet grundsätzlich der Schild mit dem Schildinhalt.[1] Neben dem Schild erscheinen in einem Vollwappen mindestens die obligatorischen Bestandteile des Oberwappens, nämlich Helm, Helmdecke und Helmzier.
„Ein Vollwappen oder vollständiges Wappen besteht aus dem heraldischen Schild, dem wappenmäßigen Helm und der auf dem Helm aufsitzenden Helmzier mit der Helmdecke (..)“
„(..) Schild, Helm, Helmdecke und -zier (gehören) zu den notwendigen Bestandteilen eines Vollwappens“
Ein Vollwappen kann darüber hinaus durch fakultative Wappenelemente, die nicht zwingend für die Darstellung eines Vollwappens erforderlich sind, vervollständigt werden, zum Beispiel durch Rangkrone, Mütze, Helmwulst, Hilfskleinod, auch durch Prachtstücke, Schildhalter, Wappenzelte oder Wappenmäntel, Orden, Wappendevisen, in der kirchlichen Heraldik durch Hut mit Quastenschnüren respektive durch die Mitra mit den dazugehörigen Insignien und so weiter.
„(..) Höhererer Rang oder bestimmte persönliche Vorrechte können zusätzlich durch »Prunkstücke« (bei einem Vollwappen) ausgedrückt werden.“
Gebrauch
In der Praxis und der heraldischen Literatur wird zwischen verschiedenen Ausprägungen (klein, mittel, groß) eines Wappens unterschieden, wobei nicht einheitlich oder nur vage bestimmt wird, welche Ausprägung ein „vollständiges“ und welche ein „unvollständiges“ Wappen sein soll. Gewöhnlich differenziert man folgendermaßen:
Stammwappen
„Stammwappen“, die nur als Wappenschild erscheinen, gelten gemeinhin nicht als Vollwappen. |
Kleines Wappen
„Kleines Wappen“ (auch „einfaches Wappen“ genannt): Gewöhnlich ist damit kein Vollwappen gemeint, sondern nur der Wappenschild, eine Wappenfigur oder ein Stammwappen, das nur ein einfaches Motiv zeigt, allenfalls ergänzt durch ein Oberwappen oder eine Rangkrone und gegebenenfalls Schildhalter. |
Mittleres Wappen
„Mittleres Wappen“: damit ist in der Regel ein Vollwappen mit seinen substanziellen Wappenelementen gemeint, aber ohne unbedeutende oder schmückende Wappenelemente; oder ein für amtliche Belange eingeführtes Vollwappen, das meist nur die wichtigen Schilde enthält[5]}} (nebensächliche Wappenbesserungen werden weggelassen). Nebenstehendes Beispiel Mittleres Wappen (Vollwappen Wilhelms II. als König von Preußen, 1873) |
Großes Wappen
„Großes Wappen“: gewöhnlich ist damit das Vollwappen gemeint, daß neben seinen substanziellen, obligatorischen und fakultativen Bestandteilen, allen möglichen Zierrat und zusätzlichen Wappenmotive, möglichst alle Wappenbesserungen (ergänzende Schilde, besonderen Schildteilungen etc.) zeigen kann. Das große Wappen dokumentiert mehr oder minder komplexe Sachverhalte möglichst vollständig (zum Beispiel den Zugewinn neuer Lehen, den Ankauf oder die Erbschaft von Ländereien und Titeln, den Erhalt von Würden und Ämtern, Standeserhöhungen und -erhebungen, ganze Abstammungsreihen und so weiter). Nebenstehendes Beispiel Großes Wappen (Vollwappen, deutsche Kaiser als Könige von Preußen, 1873-1918) |
Die Anzahl der unterschiedlichen heraldischen Elemente wird zunehmend in dieser Folge (klein-mittel-groß) mehr. Eine Überladung ist nicht ausgeschlossen. Je komplexer ein Wappen gestaltet wird, um so komplizierter wird die Blasonierung. Durch Belegung mit zusätzlichen Herz- und/oder Mittelschilden, mehreren Helmen über einem oder mehreren Schilden, durch die Anhäufung von Feldern et cetera kann ein Vollwappen recht unübersichtlich oder sogar unbrauchbar werden oder „monströs“ erscheinen.
Ein nicht auf Anhieb überschaubares Vollwappen ist beispielsweise das Große Wappen der deutschen Kaiser als Könige von Preußen.
Einzelnachweise
- ↑ Hochspringen nach: 1,0 1,1 1,2 Walter Leonhard: Das grosse Buch der Wappenkunst. Entwicklung, Elemente, Bildmotive, Gestaltung. Callway, München 1978, ISBN 3-8289-0768-7, S. 112 ff. (Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH: Bechtermünz, Augsburg 2000).
- ↑ Hildebrandt, Adolf Matthias; Biewer, Ludwig: Handbuch der Heraldik. Wappenfibel. Neustadt an der Aisch. 2002.
- ↑ Hochspringen nach: 3,0 3,1 Neubecker, Ottfried: Heraldik. Wappen - ihr Ursprung, Sinn und Wert. Battenberg Verlag im Weltbild Verlag, Augsburg 1990, ISBN 3-89441-275-5, S. 52 (© EMD-Service für Verleger. Luzern, Schweiz 1990. Deutsche Ausgabe: Genehmigte Lizenausgabe. Titel der amerikanischen Ausgabe: Heraldry. Sources, Symbols and Meaning.).
- ↑ Hildebrandt, Adolf Matthias; Biewer, Ludwig: Handbuch der Heraldik. Wappenfibel. Neustadt an der Aisch. 2002.
- ↑ Hochspringen nach: 5,0 5,1 Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Bibliographisches Institut, Mannheim, Wien, Zürich 1984, ISBN 3-411-02149-7, S. 274, 228 (Digitalisat [abgerufen am 29. Februar 2020]).