Wappensage

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Die Wappensage (auch Wappenmärchen, Wappenlegende, Wappenromanze, Wappenfabel oder ähnlich genannt; von ahd. wâfan, mittelhochdeutsch bedeutungsgleich mit wâfen, „Waffe, Rüstung“ und saga, „Gesagtes“; zusammen: „Waffen-Gesagtes, Waffen-Erzählung“; engl.: heraldic tales) ist im Zusammenhang mit Wappen, ihrer Entstehung, Herkunft, Symbolik, Bedeutung et cetera eine mündlich oder schriftlich überlieferte, kurze Erzählung jenseits wissenschaftlicher und historischer Verifizierbarkeit über nicht verbürgte, teils alltägliche, teils wunderbare oder phantastische Ereignisse und Sachverhalte. Da diese oft mit realen Begebenheiten, Personen-, Ortsangaben und Tatsachen verbunden wird, entsteht manchmal der Eindruck eines Wahrheitsberichts.

Literatur zu Wappensagen

Begriffsbestimmung und Einordnung

In der heraldischen Literatur ist Stand heute (2017) der Ausdruck Wappensage mehr oder weniger synonym zu den Begriffen Wappenmärchen, Wappenlegende, Wappenromanze, Wappenfabel und so weiter gebräuchlich (zumindest werden letztere nicht klar und wissenschaftlich konsistent vom Ausdruck Wappensage abgegrenzt). Inhaltlich und formell werden Wappensagen in vielfältiger Weise mit anderen Sagentypen (Familien-/Gechlechtssage, Namensage, ätiologischen SagenW-Logo.png, Geschichtssagen, Lokalsagen et cetera) gemischt. Der Bestimmung nach kann man mindestens zwei Formen der Wappensagen unterscheiden, die grundsätzlich miteinander kombinierbar sind:

Wappensage als Genese eines Wappens

Expressis verbis wird der Ausdruck „Wappensage“ durch die Brüder GrimmW-Logo.png im 19. Jahrhundert bestimmt. Demnach ist eine Wappensage eine

„„SageW-Logo.png, die die Entstehung eines Wappens erklären will.““

Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm (1854-1960)[1]
Ähnlich wie bei der Geschlechts-/Familiensage oder bei Verfahren, die ab dem 12./13. Jahrhundert aufkommen, wo die Abstammung primäre Beachtung findet (Adels-, Ahnen-, Ritter-, Filations- und Wappenproben genannt), wird in der Grimm-Definition als einziges Movens für Wappensagen die Entstehung/Herkunft eines Wappens in den Vordergrund gestellt. Gewöhnlich dient eine Wappensage allenfalls am Rande als retrospektiver Nachweis, um Vollbürtigkeit, adelige Abstammung et cetera zu belegen und dadurch Zugang zu Privilegien zu erhalten. Ihr Fokus liegt liegt eher darauf, den zentralen Ursprung der durch ein gemeinsames Zeichen verbundenen Wappenführenden im Nebeneinander von Dichtung und Wahrheit durch alle Zeiten „sagen-/mythenhaft“ aufzuzeigen, volkspoetisch darzulegen, zu überhöhen oder zu glorifizieren, „um Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu narrativieren und eine entsprechende Zukunft zu verheißen“.[2] Genauso wie Ahnenproben können Wappensagen im Sinne der Grimmdefinition den Ursprung eines Wappens -- manchmal unter Auslassung von ganzen Ahnenreihen -- „über einen Kontext aus syntagmatischen und oft leicht modifizierten Beweisen“[3] herleiten (der Wappenführende A ist der Sohn des tapferen B, Enkel des weisen C, alle Nachkommen des berühmten ersten Urwappenführenden D, „der einst vor urdenklichen Zeiten in das Land kam“[3], und aus ganz besonderen Ereignissen/Gründen als erster das einmalige Wappen X annahm, von Kaiser, König oder sonst wem verliehen bekam et cetera).

Wappensage als Semantik von Wappenfiguren

Gert Oswald bestimmt im 20. Jahrhundert den Begriff der Wappensage über die reine Genese von Wappen hinaus. Nach seiner Definition beziehen sich Wappensagen auch auf die Semantik der gegebene Darstellungen in den Wappen:

Wappensagen: meist unhistorische Deutungen der Herkunft der Wappen sowie ihrer Darstellungen.“

Gert Oswald: Lexikon der Heraldik (1984)[4]

Diese Definition trägt den Umstand Rechnung, dass spätestens im 17. Jahrhundert und parallel zur Hinwendung zur Sagen- und Mythenwelt in der Romantik Wappensagen dazu dienen, altadlige Familien von Nicht-Uradel und von dem neueren Beamtenadel absolutistischer Staaten abzugrenzen sowie die eigene Stellung historisch-sagenhaft zu legitimieren.[5] Die romantische Verklärung durch Wappensagen ist aber nicht auf Familienwappen beschränkt, sondern betrifft auch Kommunalwappen und andere Wappengattungen. Nach Oswalds Definition deutet und klärt die Wappensage neben der Wappenabstammung im Sinne einer sozialen Identität von einen imaginären Ursprung bis zum Jetzt auch das, was man nicht wissen kann, was im Laufe überkommener, womöglich Jahrhunderte alter Wappen als Wissen komplett verloren gegangen ist, nämlich warum ausgerechnet diese und keine anderen Wappenbilder ursächlich gewählt wurden und was die Wappenfiguren ursprünglich für die Altvorderen bedeuteten. In einer einfachen Form geschieht dies nach dem Schema: „ein Uraltvorderer A nahm die Wappenfigur Z in sein Wappen deswegen auf

  • weil A wie die Figur oder wie ein Bezugsort von A heißt (Namenswappen)
  • weil die Figur die besondere Stellung von A innerhalb der Gesellschaft seiner Zeit repräsentiert
  • weil die Figur den speziellen Beruf von A symbolisiert
  • oder einfach, weil A etwas Bestimmtes tat, was mit der Figur zusammenhängt (zum Beispiel einen Auerochsen, einen Drachen oder ähnliches tötete, vgl. Wappen Auersberg und Wappen Wurmbrand).“

In komplexerer Form werden Personen oder Sachverhalte, dem Geschlecht sich erweisende Götter, Naturgeister, Helden oder ähnliches hinzugezogen, um das Movens einer bestimmten Wappenfigur zu erklären (beispielsweise wird der Eber im Wappen der Familie von Dönhoff damit erklärt, dass einst ein Ritter aus Dänemark eine Dönhoff-Tochter das Leben rettete, indem er einen Eber tötete, der sie bedrohte. Als Zeichen des Sieges überreichte er den Dönhoffs den Eberkopf und diese nahmen vorgeblich aus Dankbarkeit den abgetrennten Tierkopf in ihr Wappen auf[6]).

Verfasser von Wappensagen

Obwohl in der Regel die ursprünglichen Verfasser von Wappensagen unbekannt oder nicht nachgewiesen sind, will Oswald zwei Urheber von Wappensagen ausgemacht haben:

„Die meisten der noch in unserer Zeit bekannten Wappensagen entsprangen der urwüchsigen Fantasie des Volkes. Die Wappensagen können auch teilweise gezielt von den Herolden verbreitet worden sein, um zum Beispiel die Vorfahren des Wappeninhabers zu verherrlichen.“

Gert Oswald: Lexikon der Heraldik (1984)[4]

Neben dem „Volksmund“ und den „Herolden“ sind zweifelsohne andere Verfasser denkbar. Die Frage nach dem Nutzen (cui bono?W-Logo.png; lat. für: „wem zum Vorteil?“) ist bei der Beantwortung möglicher Verfasserschaft von Wappensagen nicht wegzudenken, mit dem Ergebnis, dass Wappensagen in der Regel mit den SelbstkonzeptenW-Logo.png und SelbstdarstellungenW-Logo.png der Wappenführenden oder der sich mit einem bestimmten Wappen identifizierenden Personen oder Gruppen zusammenhängen.

Blütezeit der Wappensagen

Nach Scheibelreiter liegt die Blütezeit der Wappensagen im Spätmittelalter (also ca. 1250 bis 1500):

„Das Spätmittelalter war die Zeit der Wappensagen. Das steht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Fabelgenealogien, die im 14. Jahrhundert, dann aber bis in die Frühe Neuzeit ihren Höhepunkt erreichten.“

Georg Scheibelreiter (2014)[7]

Historische Wappensagen

Feld 3: „Goldene Länder hinter Indien“ (=­„Amerika“; Wappen der Familie Kolumbus)

In einigen Fällen verarbeiten Wappensagen historische EreignisseW-Logo.png oder geschichtliche Personen und deren zeitgenössischen Taten und Verdienste.

„Die Sagen (gemeint sind „die Wappensagen“ -- Anmerkung der Redaktion) werden meist mit bedeutenden historischen Ereignissen in Zusammenhang gebracht und glaubhaft verbreitet. Damit verbunden ist das Wirken eines Mannes, der ein Geschlecht oder (später) ein Land verkörpert, was zur Topik solcher Erzählungen gehört.“

Georg Scheibelreiter (2014)[7]

Nach Oskar Göschen sind entsprechenden Wappensagen im Gebiet des Heiliges Römisches Reich zu Beginn des Wappenwesens bis 1648 „nachweislich falsch“ bzw. entbehren jeglicher historischen Beglaubigung, weil „Wappen erst nach dem Dreißigjährigen Krieg das Andenken an einzelne Thaten zu bekommen pflegten“.[8] Göschen räumt jedoch ein, dass „aus der Zeit vor 1500 mehrere Verleihungen durch Matthias CorvinusW-Logo.png, polnische, portugiesische und andere Herrscher mit Beziehungen auf persönliche Verdienste (..) wohl geschichtlichen Grund haben“[8]. Beispielsweise führte die Familie von Christoph KolumbusW-Logo.png in Anlehnung an seine historische Entdeckungen ein geviertes Wappen, wobei in Feld 3 ein silbernes „Meer“ mit mehreren unregelmäßigen Goldflecken von verschiedener Größe (Länder „hinter“ Indien[9]) erscheinen. Im Zusammenhang mit dem Kolumbus-Wappens ist der Ausdruck „Wappensage“ dementsprechend nicht zweckmäßig; wahre bzw. historisch gesicherte Berichterstattungen zur Erklärung des Kolumbus-Wappens und seiner Figuren sind möglich, zumindest nicht vollends ausgeschlossen wie beispielsweise bei den meisten „uralten“ Wappen aus den Anfangszeiten des Wappenwesens.

Mehrere Wappensagen zu einem Wappen

Manchmal kommt es vor, dass nicht nur eine, sondern gleich mehrere Wappensagen den Ursprung eines Wappens und die Bedeutung seiner Wappenfiguren erklären. Gewöhnlich zeigt dieser Umstand an, dass der „wahre“ Ursprung dieses Wappens im Dunklen liegt und nicht mehr gesichert ermittelt werden kann. Daneben gibt es in der neueren Zeit die Tendenz, den klassischen Wappensagen weitere Theorien zur Genese eines Wappens an die Seite zu stellen, die einen neuen Erkenntnisstand suggerieren, sich aber wie die klassischen Wappensagen zumeist weder beweisen noch widerlegen lassen.

Beispiele für mehrere Wappensagen zu einem Wappen

Bekanntes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Mainzer Rad, dessen Herkunft bislang nicht zweifelsfrei wissenschaftlich geklärt ist, obwohl sie Thema mehrerer Wappensagen und Theorien ist (vlg. → Entstehung des Mainzer Rads). Auch zum Bindenschild beziehungsweise dem ursprünglichen Wappen der Babenberger existieren verschiedene Thesen[10][11] und mindestens vier Wappensagen (vlg. → Bindenschild, Geschichte: Herkunft von Rot-Weiß-Rot).

Moderne „Wappensagen/-märchen“

Die Entwicklung von „Wappensagen“/„Wappenmärchen“ ist zwischen den Jahren 1650 bis 1800/1850, die mit der Verfallszeit des Wappenwesens und der „Aufklärung“W-Logo.png über heraldischer Sachverhalte einhergehen, nicht abgeschlossen. Auch die sich etablierende wissenschaftlichen Heraldik (Professorenstellen für Heraldik ab 1705), die Adelsaufhebung (1919) oder ähnliche aufklärende Bemühungen konnten das Anwachsen einer neuen Art „Wappensagen“/„Wappenmärchen“ nicht verhindern, die ab 1806 bis 1932 erblühte und die man unter dem Schlagwort „Wappenschwindel“ zusammenfassen kann. Obwohl die Erzeugnisse der Wappenschwindler in Form und Inhalt in der Regel weit hinter den anekdotisch-pointierten, teilweise poetisch-lyrischen Erzählungen klassisch-volksdichtender Wappensagen zurückbleiben, beantworten sie doch die gleichen Fragestellungen (Entstehung und Bedeutung eines „uralten“ Wappens) mit einem Sammelsurium aus phantastischen Angaben, irriger Beschreibungen und Behauptungen jenseits wissenschaftlicher oder historischer Verifizierbarkeit.

„Die Frage nach der Bedeutung und Erklärbarkeit eines bestimmten Wappens, das nicht als „redendes“ erkennbar ist, hat sich so fest ins Bewußtsein des Durchschnittsbetrachters eingegraben, daß sie auch heute noch immer gestellt werden. Die Wappenwerkstätten haben sie beispielsweise wie folgt beantwortet: Löwe = Kraft und Stärke, Lilie = Reinheit und Tugend, Helm = gute Abkunft, Büffelhörner = Tapferkeit (..), silberne Fäden = Reinheit der Familie, halber Adler = Aufschwung des Stammes, Greif = Alter des Stammes, 12 Steine = Fruchtbarkeit (..) usw. usw. (..) Mit solchen Traumdeutereien sollte nicht etwa eine Sinndeutung n e u entworfener Wappen gegeben werden (die als wünschenswert anerkannt werden könnte), sondern eine Erklärung für das 'uralte' Wappen, das von dem Verkäufer angeboten wurde (..)“

Jürgen Arndt (1996/1997)[12]

Ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen den klassischen und modernen Wappensagen/Wappenmärchen ist, dass viele der Verfasser der letzeren bekannt sind oder sich nachträglich ermitteln lassen. Das gleiche Vorgehen in die Vergangenheit projiziert, würde bedeuten, dass die Verfasser klassischer Wappensagen unter „Schwindlern“ und „Betrügern“ zu suchen sind, die sie zum Zwecke des eigenen Vorteils erfunden haben.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Blason ville fr Garidech (Haute-Garonne).svg Lemma Wappensage. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
  2. Münkler, Herfried: Nationale Mythen im Europa der frühen Neuzeit. In: Kemp, Wolfgang; Mattenklott, Gert; Wagner, Monika; et al. (Hrgs.): Vorträge aus dem Warburg-Haus. Bd. 1. Berlin. 1997. S. 126.
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 Heck, Kilian: Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit. München Berlin. 2002. S. 78.
  4. Hochspringen nach: 4,0 4,1 Oswald, Gert: Lexikon der Heraldik. Mannheim, Wien, Zürich. 1984. S. 433.ISBN 978-3-411-02149-9
  5. Peters, Jan: Märkische Lebenswelten: Gesellschaftsgeschichte der Herrschaft Plattenburg-Wilsnack. Prignitz 1500-1800. Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Band 53. Berlin. 2007. ISBN 978-3-8305-1387-2 S. 25.
  6. Vgl. im Abschnitt Literatur Grässe: S. 38
  7. Hochspringen nach: 7,0 7,1 Scheibelreiter, Georg: Wappensagen. In: Wappen im Mittelalter. Primus Verlag. 2014. ISBN 978-3-86312-025-2. Seite 162 bis 166.
  8. Hochspringen nach: 8,0 8,1 Pusikan: Über die Bedeutung der Wappenfiguren. Nürnberg. 1877. S. 1 ff.
  9. Gustav FaberW-Logo.png: Auf den Spuren von Christoph Kolumbus. Paul List Verlag, München 1987, ISBN 3-471-77551-X, S. 48.
  10. Peter Diem: Rot-Weiß-Rot durch die Jahrhunderte. Die wahre Geschichte der österreichischen Farben. (auch pdf) Abgerufen am 15. Mai 2008.
  11. Bundesministerium für Inneres: Die Symbole der Republik
  12. Arndt, Jürgen: Der Wappenschwindel - seine Werkstätten und ihre Inhaber. Ein Blick in die heraldische Subkultur. 164 Seiten. Festeinband. Neustadt a. d. Aisch. 1997. ISBN 3-76886-7013-9 S. 12 ff.