Wappengenosse

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Das Substantiv Wappengenosse (auch Wappengenoß, Wappengenosz, Wappens Genosz, wâpengenôz; häufig in Pluralform: Wappengenossen oder Wappengenoszleute) geht wahrscheinlich auf das althochdeutsche wâfan ginoz zurück mit der Bedeutung

  • „jemand, der mit einem anderen Waffen/Wappen genießt, Nutznießung hat“.

Die Bedeutung des Wortes wandelte sich in der Heraldik im Laufe der Zeit. In einem weiten, eher ursprünglichen Sinn steht der Ausdruck Wappengenosz

  • für jemanden (Kämpfer, Krieger, Ritter, Bewaffneter), der sich mit anderen „zum Schutz und Trutz“ verbindet; ähnlich wie Wappen-/Waffenbruder (frz.: frère d'armes), Vetter, Wappen-/Waffenvetter (lat.: parens) oder in abgeschwächter Bedeutung: „Mitkämpfer/Kampfgenosse“, der mit einem andren gemeinsam zu Felde/Kampfe zieht.

Angeblich pflegten solche „Wappengenossen“ teilweise ihre Waffen/Wappen zu tauschen oder im Falle eines plötzlichen Todes gegenseitig zu vermachen.[1]

Bedeutungswandel

11. bis 15. Jahrhundert

Als das Wappenwesen sich entwickelte, waren die Wappen von Bürgern, Bauern und so weiter nicht von den Wappen von Adligen zu unterscheiden -- außer im Gebrauch: Nur der Rittermäßige gebrauchte sein Wappen als eine Art Nachweis seines Standes und dokumentierte dadurch gewissermaßen seine „Wappengenossenschaft“.[2] Nach dem Sprachgebrauch des Mittelalters und gemäß der Entstehung des Wappenwesens bis zu Ende der Regierung des Kaisers SigismundW-Logo.png (1437) ist daher der Ausdruck Wappengenosse vermutlich eher nur für den Ritterbürtigen gebräuchlich, also für jemand mit edlen/adligen/ritterlichen Vorfahren, für den zu den Waffen/Wappen, zu Schild und Helm Geborenen, dann überhaupt für den Adligen beziehungsweise für die „rittermäßige Person, die den untersten Grad des Adels bildete“[1][3] Mit der Einführung von Wappenbriefen und Adelsbriefen wird ab dem 14./15. Jahrhundert indirekt manchmal auch der Unterschied im Wappengebrauche bestimmt. Beispielsweise gehen der womöglich älteste bürgerliche Wappenbrief von 1400 (für die Söhne von Folze Eyermenger, Bürger in Mainz) und spätere auf den Unterschied im Gebrauch eines Wappens ein, indem darin Formeln besagen, wie das verbriefte Wappen „gebraucht“ wird:

  • adliger Wappengebrauch: „.. zu allen ritterlichen und ehrbaren Sachen“
  • bürgerlicher oder anderer Wappengebrauch: „.. zu allen guten und ehrbaren Sachen“; „.. zu allen redlichen und ehrbaren Sachen“ etc.[2]

Letzteres meint: Wappengebrauch, wie andere Bürger etc. ihre Wappen auch „gebrauchen“ -- im Gegensatz zum Wappengebrauch der Ritterbürtigen. Deutlich manefestieren sich die Unterschiede im Gebrauch von Wappen im Zusammenhang mit genossenschaftlichen Zusammenschlüssen der Ritterbürtigen (Adelsgesellschaft, Turniergesellschaft) und bei Turnieren, wo mit Hilfe von Wappenschau und Ahnenprobe die Turnierfähigkeit beziehungsweise eine „Wappengenossenschaft“ öffentlich präsentiert wird.

Unterschiede im rechtlichen und sprachlichen Gebrauch lassen sich nachweisen, wenn ein Wappen an ein dinglichen Besitz (Lehen) gebunden ist. Derjenige, der ein Lehnwappen führt, ist weit mehr ein Lehensgenosse zu nennen, als ein Wappengenosse -- obwohl beide Bedeutungen ineinander übergehen und manchmal nicht scharf voneinander getrennt sind (zum Beispiel wenn ein „Ritterbürtiger“ gleichzeitig auch „Lehensmann“ ist).

Ab dem 15. Jahrhundert

Im 15., spätestens 16. Jahrhundert verschiebt sich die Bedeutung des Ausdrucks „Wappengenosse“: Nicht nur der Ritterbürtige, sondern auch wappenführende Bürgerliche (Wappenbürger) sind fortan Wappengenossen. [1]

„Es gab freylich eine Zeit, wo Wappengenoß so viel war, als Adelicher. Nachdem aber, insonderheit seit dem 16. Jahrhundert, viele bürgerliche Familien, ohne sich in den Adelstand erheben zu lassen, sich Wappenbriefe ertheilen ließen, so blieb das Wappen und die Wappenfähigkeit nicht mehr ein allgemeines und sicheres Zeichen des Adels. Daher mußte man Wappengenossen überhaupt von edlen Wappengenossen unterscheiden, ein Beweis des Wappens war nicht mehr zugleich ein Beweis des Adels.“

Johann Christian Siebenkees (1789)[4]

„Unter der Regierung Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) wurde das Recht der Wappenverleihung als kaiserliches Reservatrecht in Anspruch genommen und fiskalisch ausgebeutet, so daß um 1470 die Wappengenossenschaft von Rittermäßigkeit getrennt wurde.“

– Meyers Großes Konversations-Lexikon (1909) / Lexikon der Heraldik (1984)[3][5]

In der Folge der fiskalischen Ausbeutung stehen Versuche von Königen und Kaisern, sich die Bedeutungshoheit über den Ausdruck Wappengenosse zu verschaffen. Zumindest legt dies die Rezeption des 18. Jahrhunderts nahe, wenn sie Von dem Rechte derer adelichen, insignia zu führen berichtet und dabei den Bedeutungswechsel ab dem 15. Jahrhundert im Blick hat:

„Denn obgleich bürgerliche Personen zu Wapens-Genossen declairet werden können; so stehet doch solches ihnen nicht aus eigener Macht zu, vielweniger wird einer durch Verleihung eines Wapens geadelt (..) Ein Wappen-Genoß genüßt auch nicht das Recht eines Lehns-Genossen. Denn dieser ist befugt sich Lehne zu acquiriren und zu besitzen, ob er gleich nicht von Adel (..) Im Königreich Böhmen verordnen die Gesetze, daß keiner den anderen zum Wappen-Vetter oder Genosse anderer Gestalt annehmen könne, als wenn der König seinen Consens dazu gibt.“

Christian Gottlieb Riccius (1735)[6]

Der Bedeutungswandel läßt sich nach Seyler an Dokumenten nachweisen, die aus der Hand der kaiserlichen Kanzlei stammen und nach einer langjährigen Praxis zu einer einheitlichen Behandlung kamen:

„Es wurden verliehen (Hervorhebung durch die Redaktion):
1. schlichte Wappenbriefe (in forma communi). Die Empfänger werden als „Wappengenossen“ bezeichnet.
2. Wappenbriefe der besseren Form, welche den Begnadigten die Rittermäßigkeit und die Lehensfähigkeit gewährten (in forma meliori). Die Empfänger werden als „rittermässige Wappengenossen“ bezeichnet.“

Gustav Adelbert Seyler (1885-1890)[2]

In der Rezeption in der Zeit vor Seyler wird der Bedeutungswandel manchmal nicht adäquat berücksichigt. Beispielsweise definiert im 18. Jahrhundert der Historiker und Rechtswissenschaftler Friedrich Christoph Jonathan FischerW-Logo.png, der, was heute historisch widerlegt ist, davon ausging, das Wappen ursprünglich allein das Kennzeichen des Adelstands waren, den Begriff Wappengenosse noch in einem anitbürgerlichen Sinn:

744. Von Wappengenossen: Wappengenossen sind entweder solche Personen, die zu gleichem Schilde und Helme gebohren sind, oder solche, die sich auf einer gleichen Stufe des Adels befinden, und also auf ihren Wappen ähnliche Ehrenzeichen führen.“

Friedrich Christoph Jonathan Fischer (1785)[7]

Besonders deutlich zeigt sich der Bedeutungswandel in Ungarn, wo der Ausdruck Wappengenosse im direkten Zusammenhang mit den sogenannten Armalisten (von lat.: arma) steht, das sind privilegierte Bürgerliche, die das Recht haben, ein bestimmtes, in aller Form verliehenes Wappen zu führen.[3][5]

Ab dem 17. Jahrhundert

Ab dem 17.Jahrhundert verblaßt die Bedeutung des Ausdrucks „Wappengenosse“. Der Ausdruck steht fortan in der Bedeutung: „die Person, welche mit einer andern ein gleiches Wappen führt“[8], ein mit den übrigen Familienmitgliedern zur Führung eines bestimmten Wappens Berechtigter.[1] Die Führung eines identischen Wappens kann erworben werden:

  1. durch den Eintritt in die wappenführende Familie (durch Geburt, Heirat, Erbfall, Adoption)[9]
  2. durch Stiften eines neuen, das heißt nicht schon belegte Wappens (wenn dabei die Führungsberechtigung ausgedehnt wird und dabei automatisch Dritte mitberechtigt sind)
  3. durch Erwerb (Kauf, Schenkung, Mitberechtigung)[9]
  4. durch Verleihung [9]

Der Ausdruck Wappengenosse wird nicht nur bei Mitgliedern einer Familie verwendet, die ein- und dasselbe Wappen führen, sondern insbesondere auch bei Mitgliedern von Wappengemeinschaften, bei denen ganze Familien ein- und dasselbe Wappen führen (wie in der polnischen Szlachta).

Im 19. Jahrhundert gibt es darüber hinaus Stimmen, die den Ausdruck Wappengenosse nunmehr teilweise „antiadlig“ interpretieren:

„Im gewöhnlichen weiteren Sinn aber sind Wappengenossen alle Jene, welche sich eines erblichen Wappens bedienen, ohne dem Adel anzugehören; und man fasst demnach alle wappenführenden unadligen Geschlechter als eine Gesellschaft oder Genossenschaft auf, deren Bedeutung vorzüglich darin liegt, dass es ihren Gliedern, vermöge des erblichen heraldischen Abzeichens möglich ist, die ihrer Familie Angehörigen auf- und abwärts trotz aller etwaigen Namensgleichheit und Landsmannschaft mit Anderen so zu kennzeichnen, dass selbst in späten Tagen genealogische Verwechslungen und Irrtümer nicht leicht stattfinden können.“

Ernst Hartmann von Franzenshuld (1870)[10]

Ab dem 20. Jahrhundert

In der Folge der Aufhebung der Adelsprivilegien (vgl. Adelsaufhebungsgesetz von 1919), spätestens seit der PostmoderneW-Logo.png wird Wort „Wappengenosse“ manchmal im umgangssprachlichen, eher spöttischen Sinn verwendet: eine Person, die ein Wappen führt, wobei „Wappenführung“ als unzeitgemäße Marotte verstanden wird. Beim spöttischen Gebrauch des Ausdrucks spielen auch die historischen Bedeutungen mit, die im Zusammenhang mit dem Wort GenosseW-Logo.png stehen („Parteigenosse“, „Volksgenosse“, „Genosse Major“).

Weitere Bedeutungen

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Ausdruck Wappengenosse auch im übertragenen Sinn verwendet, zum Beispiel für Objekte oder Dinge, die miteinander oder mit einer Person eine wappen/waffen-genossenschaftliche Verbindung haben („Schild und Helm sind Wappengenossen“)[1]. Auch die Verwendung als Adjektiv ist früher gebräuchlich, manchmal zusammengestellt mit „edel“ („ein weiser, edler Mann von altem wappensgenossen Geschlecht“)[1]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 Blason ville fr Garidech (Haute-Garonne).svg Vgl. die Lemma: Wappengenosz, Wappengenoszleute, Wappenbruder, Waffenbruder, Waffenbrüderschaft und Wappengenoszschaft in: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (www.woerterbuchnetz.de).
  2. 2,0 2,1 2,2 Vgl. Seyler, Gustav Adelbert: Geschichte der Heraldik. Wappenwesen, Wappenkunst, Wappenwissenschaft. In: J. Siebmachers großes Wappenbuch. Band A. Repgrografischer Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1885-1889 (1890). Neustadt an der Aisch. 1970. S. 337 ff.
  3. 3,0 3,1 3,2 Lemma: Wappengenossen. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon: Abgerufen: 14. Januar 2014. Band 20. Leipzig 1909. S. 370.
  4. Siebenkees, Johann Christian (Hrgs.): Beyträge zum teutschen Rechte, Beyträge zum teutschen Rechte. Nürnberg und Altdorf. 1789. S. 81.
  5. 5,0 5,1 Oswald, Gert: Lexikon der Heraldik. Mannheim, Wien, Zürich. 1984. S. 418. ISBN 978-3-411-02149-9
  6. Christian Gottlieb Riccius: Unverlässlicher Entwurf von den landsässigen Adel in Deutschland. Adam Jonathan Felßecker Erben. Nürnberg 1735. S. 371, 372.
  7. Fischer, Friedrich Christoph Jonathan: Lehrbegrif sämtlicher Kameral- und Polizeyrechte: Sowol von Teutschland überhaupt als insbesondere von den Preußischen Staaten. Band 1. Verlag: Strauß. 1785. S. 502.
  8. Lemma: Wappengenoß. In: D. Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft, wie auch der Erdbeschreibung, Kunst- und Naturgeschichte: in alphabetischer Ordnung. Verlag Pauli. 1804.
  9. 9,0 9,1 9,2 Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Stuttgart 91958/1980. Seite 129 ISBN 3-17-005597-6
  10. Franzenshuld, Ernst Hartmann von: Über Patrizier, Erbbürger und Wappengenossen. In: Mitteilungen der Zentral-Kommission k. k. Central-Commission für Denkmalpflege zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. Band 15. Wien. 1870.