Nachtigall (Wappentier)

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In der Frühzeit des Wappenwesens ist eine Wappenfigur, die eigens zur Darstellung einer Nachtigall verwendet wird, nicht gebräuchlich.

Nachtigall
 
in der Natur
(in Manzanares el Real, Spanien)
 
in der Heraldik
(1786: Redendes Wappen von Johann Nachtigal, AT-OeStA/AVA Adel HAA AR 637.8 )

Die Nachtigall (mittelhochdeutsch nachtegal(e), nahtegal[e], ‚die Nachtsängerin‘, althochdeutsch nahtagala; poetisch Philomele/PhilomelaW-Logo.png, lateinisch luscinia; französisch rossignol; englisch nightingale; spanisch ruiseñor) ist eine seltene, aber gelegentlich verwendete Wappenfigur in der Heraldik.

Geschichte

1588: Natürliche Nach­ti­gall (Wappen Zabó-Fogarassy; nach Siebmacher 1898)

Wer, wann zum ersten Mal eine Nachtigal im Wappen führt, ist unklar beziehungsweise nicht ausreichend erforscht. Grob datiert, wird spätestens seit dem 16. Jahrhundert die eine oder andere Vogelfigur in einem Wappen als „Nachtigall“ angesprochen. Beispielsweise erscheint nach den Verfassern des Neuen Siebmachers (Constantin Reichenauer von Reichenau, Géza von Csergheő und Oscar von Bárczay) im Wappen der siebenbürgischen Familie Zabó-Fogarassy im Jahre 1588 in Blau auf grünem Boden angeblich eine „natürliche Nachtigall“ (zitiert nach dem „Königlichen Buch“)[1].

Fragwürdige Deutungen

Deutungen und Bestimmungen von Nachtigallfiguren in Wappen sind grundsätzlich mit Vorsicht zu behandeln, da oft keine gesicherte historische Quellenbasis überliefert ist. Teils erfolgen Interpretationen rein mutmaßend und ohne Beweise aus späterer Zeit in die Vergangenheit hineinprojiziert. Bekanntes Beispiel für eine Schlussfolgerung ohne gesicherte Erkenntnis ist das vorgebliche Wappen von Walther von der VogelweideW-Logo.png.

Idee 002.png
Die „Nachtigall“ im Wappen des Walther von der Vogelweide
alternative Beschreibung

In der volkstümlichen Kommunikation und in anderen Quellen wird zuweilen kolportiert, dass die Vogelfigur in dem Wappen von Walther von der VogelweideW-Logo.png eine „Nachtigall“ sei.[2] Diese Deutung ist nicht haltbar. „Heraldik und Ikonografie der Weingartner Liederhandschrift und des Codex Manesse gelten als erfunden.“[3] Dementsprechend wird die Wappenfigur im Phantasiewappen von Walter von der Vogelweide, welche im Codex Manesse (um 1300 bis 1340) abgebildet ist, von kritischen Autoren nicht als Nachtigal gedeutet, sondern lediglich als „grüner Vogel“:

„Das redende Wappen Walthers muß so lange als Erfindung des Malers gelten, bis es durch andere Quellen als echt bezeugt ist. Der rote Schild zeigt einen gelben, weiß vergitterten Vogelbauer und darin einen schreitenden grünen Vogel. Die Schildfigur erscheint auch als Kleinod auf dem goldenen Helme.“

Ingo F. Walther (1989)[4]
Keine Nachti­gall, sondern ein „Singvogel“ (Wappen LajenW-Logo.png)
Die verbreitete, aber unbewiesene Behauptung, dass es sich bei der Vogelfigur im Phantasiewappen Walthers um eine „Nachtigall“ handelt, nimmt womöglich Bezug darauf,
  • dass Walther von der Vogelweide um 1200 in dem Gedicht Under der lindenW-Logo.png den Gesang der Nachtigal mit Liebenden verband
  • dass es unklar ist, „ob sein Name nicht (..) eine Anspielung auf den seit der Antike für den Poeten genutzten Topos der Nachtigall ist“[3].
Notabene: Die Figur im Wappen von LajenW-Logo.png, die in Anlehnung an das Phantasiewappen von Walther von der Vogelweide aufgenommen wurde, ist nicht als Nachtigall blasoniert, sondern als „Singvogel“.
– Andreas Janka (2023)

Unterschiedliche Deutungen

Manchmal erfolgen Auslegungen von Nachtigallfiguren in der heraldischen Literatur nicht einheitlich. Unübersichtliche Deutungen für ein und dieselbe Wappenfigur liegen zum Beispiel beim Wappen derer von ThielauW-Logo.png vor.

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Die „Nachtigall“ im Wappen derer von Thielau
alternative Beschreibung
Thielau-Wappen (Epitaph Hanns Gottlieb von ThielauW-Logo.png; 18. Jhr.)


Einerseits wird eine Vogelfigur in der Helmzier des Wappens derer von ThielauW-Logo.png von etlichen heraldischen Autoren als „Nachtigall“ bestimmt (unter anderem 1720 und 1728 von Sinapius[5], 1837 von ZedlitzW-Logo.png,[6] 1855 von Kneschke[7] und 1881 von Gritzner[8]); andere Autoren weichen stark von der Nachtigalldeutung ab. So behauptet Dorst im Jahre 1842 die Figur sei ein „Pirol“,[9] Hefner geht 1857 von einer „Dohle“ aus[10] und Hildebrandt hält sie 1869 für eine „Taube“[11]. Andere Autoren erfinden weitere Vorbilder für die Thielau-Wappenfigur. So findet sich in der Schlesischen Heimat eine dazugehörige Wappensage, in der kolportiert wird, dass die Vogelfigur im Wappen derer von Thielau einer „Elster“ nachempfunden sei;[12] die Autoren der Schlesischen Provinzialblätter gehen dagegen in einer kongruenten Geschichte von einem „Raben“ als Vorbild für die Wappenfigur aus[13].
– Andreas Janka (2023)

Darstellung

Nachtigall im historischen Wappen von Viļānu novadsInsigne Lettonicum.svg, Lettland)

Da die Verwendung der Nachtigall in Wappen nicht weit verbreitet ist, gibt es keine besonderen heraldischen Gestaltungsvorgaben für sie, außer jene, die für heraldische Vögel allgemein gelten. Grundsätzlich wird die Nachtigallfigur als heraldisch stilisierte Darstellung des Idealbildes der gleichnamigen Vogelart (NachtigallW-Logo.png, Luscinia megarhynchos) gezeigt, bevorzugt singend bzw. in einer singenden Pose mit geöffnetem Schnabel. Die heraldisch stilisierte Darstellung beinhaltet die Hervorhebung der charakteristischen Merkmale des Vogels wie eine deutlich überzeichnete kompakte, runde Körperform mit kurzen Beinen, einen kurzen Schwanz, einen vergleichsweise kräftigen und geraden Schnabel, große Augen et cetera.

Die Nachtigallfigur ist in Wappen einerseits einfarbig heraldisch tingiert (vor allem in Gold, seltener in Silber oder einer anderen Farbe), andererseits auch natürlich (das heißt gegebenenfalls mit heraldischen Sonderfarben wie „Braun, Graubraun, Gelblichbraun“). Die Bewehrung kann andersfarbig als der Rest des Motivs tingiert sein, was in der Wappenbeschreibung blasoniert werden muss.

Nachtigall als Nebenfigur

Die Nachtigall wird manchmal als Nebenfigur oder mit anderen Wappenfiguren beziehungsweise als Teil eines komplexeren Wappenmotivs in Wappen dargestellt. Zum Beispiel ist im vorderen Feld des Wappens der Familie Luposignoli auf grünem Dreiberg ein nach rechts gewandter, mit dem Oberkörper aufgerichteter Wolf eine Hauptfigur, die rückwärts nach einer aus dem linken Feldobereck herabfliegenden natürlichen Nachtigall-Nebenfigur emporschaut.

Winzig beziehungsweise kaum erkennbar erscheint 1700 eine Nachtigallfigur im Wappen der Nueber von Nuebern; sie ist nach den Autoren des Neuen Siebmachers kein wesentlicher Bestandteil des Hauptschildes, sondern wird als Motiv dem kleinen Herzschild beigegeben, der auf dem Hauptschild aufliegt.

Nachtigall im Oberwappen

alternative Beschreibung
1911: Singende Nachtigall im Oberwappen (Exlibris für den Opernsänger Walter Leonhard Sebastian Schneider, 1878-1935)[16]

Manchmal erscheint eine Nachtigallfigur im Oberwappen. Zum Beispiel wird bei einem ExLibris für den Opernsänger Walter Leonhard Sebastian Schneider (1878-1935) ein Oberwappen mit einer singenden Nachtigall abgebildet, die sinnbildlich für den Beruf des Künstlers steht.

Symbolik

Außerhalb der Heraldik wird die Nachtigall mit zahlreichen positiven und negativen Konnotationen assoziiert. Nach Udo Becker ist sie wegen „ihres süßen und zugleich klagenden Gesanges Symbol der Liebe (vor allem in Persien), aber auch der Sehnsucht und des Schmerzes“.[17]

„(Die) Nachtigall, poetisch »Philomele«, galt in der Antike als klagende Mutter, die mit dem Ruf »Itys« ihr Kind beweint (Ovid, Metamorphosen ...) Sie war zugleich Symbol des von Menschen angestrebten Könnens, süßen Wohlklang der Sprache zu erreichen, und Dichter bezeichneten sie als ihre Schüler. Ihr Name ist gelegentlich Synonym für »Lied« und »Poesie«. Auch wurde beobachtet, daß Eltern ihre Nestjungen im Singen unterweisen, was zu einer allegorischen Gleichsetzung mit pädagogischen Fähigkeiten führte. In der Volksmedizin wurde das Fleisch der nächtlichen Sängerin als Mittel empfohlen, übermäßiges Schlafbedürfnis einzudämmen. Nachtigallenherzen sollten eine schöne Stimme und rednerisches Geschick verleihen. Als gefühlloser Luxus wurde jedoch bereits in der Antike die Sitte der Reichen aufgefaßt, Nachtigallen (besonders ihre Zungen) als Kuriosität zu essen. – Auch im Orient war die Nachtigall wegen ihres süßen Gesanges sehr geschätzt, und ihr Gesang galt, wie in Europa, als glückverheißendes Omen. Der Volksglaube deutete den Nachtigallenschlag hingegen vielfach als Hilferuf einer »armen Seele im Fegefeuer« oder als klagende Ankündigung des nahen Todes eines Menschen, während im christlichen Sinn sich darin die Sehnsucht nach dem Paradies und Himmel äußern sollte (..)“

Knaurs Lexikon der Symbole (1989/1994/1998)[18]

Wappenbilderordnung

Weblinks

Commons: Nightingales in der Heraldik – Sammlung von Bildern
 Wikipedia: Nachtigall – Beitrag zum realen Vorbild der Wappenfigur
Wiktionary Wiktionary: Nachtigall – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, IV. Band, 12. Abteilung; Der Adel von Siebenbürgen; Verfasser: C. Reichenauer von Reichenau, G. von Czergheö, O. von Barczay; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1898. S. 254. Tafel 188. (von den Autoren wird zitiert: R. A. Budapest – Gyulafehérvári liber regius II)
  2. Vgl. beispielsweise (willkürliche Auswahl):
    • Vogelweide, Walther von der - Under der Linden (Interpretation). In: www.abipur.de. Abgerufen am 15. Dezember 2023 (Hausaufgabe/Referat; wurde 17 mal bewertet; durchschnittlich wurde die Schulnote 2 vergeben): „Außerdem stellt er eine unmittelbare Verbindung zu Walther von der Vogelweide dar, dessen Wappen von einer Nachtigall geschmückt war, was auf sein Singtalent zurückzuführen war.“
    • Fritz Witte: Von unserer Paramentik einst und jetzt. In: Alexander Schnütgen (Hrsg.): Zeitschrift für christliche Kunst. Nr. 9/10. Düsseldorf 1912, S. 257–316, Sp. 306 (Google): „Die Hauptmotive, wie der nach der bekannten Miniatur wiedergegebene »Herr Walther von der Vogelweide« mit übereinandergeschlagenen Beinen, sein Wappen mit der Nachtigall sind in farbigen Seidenstücken appliziert ...“
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 Vincent Rzepka: Sangspruch als cultural performance. Zur kulturellen Performativität der Sangspruchdichtung an Beispielen Walthers von der Vogelweide. Logos Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-8325-2888-1, S. 26 (Google)).
  4. Ingo F. Walther (Hrsg.): Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. 4. Auflage. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1989, S. 90–93, Tafel 45 (unter Mitarbeit von Gisela Siebert).
  5. Johann Sinapius:
    • Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung, Darinnen die ansehnlichen Geschlechter Des Schlesischen Adels, Leipzig 1720, S. 975-976 (Google; Digitale Bibliothek Oppeln)
    • Des Schlesischen Adels Anderer Theil Oder Fortsetzung Schlesischer Curiositäten, Leipzig und Breslau 1728. S. 1057-1060 (Google)
  6. ZedlitzW-Logo.png: Neues preussisches Adels-Lexicon, oder, Genealogische und diplomatische Nachrichten Band P-Z. Leipzig, 1837. S. 265 f. (Google)
  7. Ernst Heinrich Kneschke: Die Wappen der Deutschen freiherrlichen und adeligen Familien: in genauer, vollständiger und allgemeinen verständlicher Beschreibung. Band 1. Leipzig, 1855. S. 417 (Google)
  8. Maximilian Gritzner: Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte deutscher Landesfürsten während der letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Quellen. Band 2. Görlitz, 1881. S. 773 (Google)
  9. Leonard Dorst von Schatzberg: Schlesisches Wappenbuch oder die Wappen des Adels im Souverainen Herzogthum Schlesien der Grafschaft Glatz und der Oberlausitz. Band 1. Görlitz, 1842. S. 26 Tafel 59. (Text: Google; Tafel: Google)
  10. J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, II. Band, 3. Abteilung; Der Adel des Königreichs Sachsen; Verfasser: O. T. von Hefner; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1857. S. 50. Tafel 58.
  11. Adolf Matthias Hildebrandt: J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, II. Band, 2. Abteilung; Der Adel des Herzogthums Braunschweig; Publikation: Nürnberg: Bauer & Raspe, 1869. S. 10. Tafel 8.
  12. Die Wappensage derer von Thielau. In: Schlesische Heimat, 1864. Zitiert nach: Geschichte in Bildern. In: www.schloss-leuben.de. Leubener Schlossverein, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  13. Schlesische Provinzialblätter. Th. Oelsner (Hrsg.). Neue Folge. Dritter Band. Glogau, 1864. S. 543 (Google)
  14. Wappenbeschreibung: „Azure on a Plate between in chief two Mascles and in base a Nightingale Or, with a Cross Gules at centre.“
  15. Wappenbeschreibung: „di azzurro al monte di tre cime d'argento, ristretto, sostenente un usignuolo al naturale, il tutto sormontato da tre stelle di oro (5) ordinate in fascia, quella di mezzo con una piccola coda serpeggiante di argento“Vittorio Spreti: Enciclopedia Storico-Nobiliare Italiana: famiglie nobili e titolate viventi riconosciute dal R. Governo d'Italia, compresi: città, comunità, mense vescovili, abazie, parrocchie ed enti nobili e titolati riconosciuti. Vol. III. (E-K), 1930. S. 380 (Google)
  16. Show-handle-HW.png Bernhard Peter: Historische heraldische Exlibris (2) – Erstellt: 2012. Abgerufen: 12. Dezember 2023
  17. Udo Becker: Lexikon der Symbole. Komet MA-Service und Verlagsgesellschaft mbH, Frechen 2001, ISBN 3-89836-206-X, S. 202.
  18. Lemma Nachtigall. In: Knaurs Lexikon der Symbole. 1989/1994/1998. S. 743 (vgl. LdS, S. 300)
  19. Jürgen Arndt und Werner Seeger (Bearbeiter) mit Wappenskizzen von Lothar Müller-Westphal: Wappenbilderordnung. Symbolorum armorialium ordo. Zit.: WBO - Wappenbilder. Hrsg.: Herold, Verein für Heraldik Genealogie und verwandte Wissenschaften (= J. Siebmachers Großes Wappenbuch. B). 2., ergänzte und berichtigte Auflage. Band I. Bauer & Raspe, Inh. Manfred Dreiss, Neustadt an der Aisch 1996, ISBN 3-87947-110-X, S. 141–142 (447 S., zugleich Neubearbeitung des Handbuchs der heraldischen Terminologie von Maximilian Gritzner; Einleitungsband, Abt. B des Neuen Siebmacherschen Wappenbuches, Nürnberg, 1890).