Möwe (Wappentier)
Die Möwe (auch Seemöwe genannt; früher Seemwewe geschrieben [1]; frz.: mouette; engl.: gull oder sea gull) ist in der Heraldik ein seltenes Wappentier beziehungsweise ein gemeine Figur.
Darstellung
Die Darstellung der gemeinen Wappenfigur Möwe ist den natürlichen Vorbildern aus der Vogelfamilie Möwen (Laridae) nachempfunden, wobei grundsätzlich in Wappen eine unbestimmte, archetypische Möwe dargestellt wird; eine spezifische Möwe aus den etwa 55 Möwenarten mit je nach Autor zwischen sieben bis elf Möwengattungen kann gemeldet werden, ist dann aber entsprechend der spezifischen Merkmale aufzureißen.
Allgemein sind dieses Wappenfiguren an den heraldisch stilisierten und deutlich überzeichneten charakteristischen Merkmalen von Möwen -- relativ lange und schmale, spitze Flügel; kräftiger, schlanker Schnabel mit leicht nach unten gekrümmtem Oberschnabeln; Vogelfüße mit Schwimmhaut -- oder einer bevorzugten Möwenhaltung ohne Schwierigkeiten zu erkennen, zu deuten und zu bestimmen. Ursprünglich wurde die Wappenfigur Möwe in klassisch-heraldischen Haltungen dargestellt (stehend oder sitzend; mit angelegten Flügel; frontal, mit seitwärts gewendetem Kopf, symmetrisch ausgebreiteten Flügeln; auffliegend, flugbereit et cetera); in der neueren Heraldik erscheint sie oft nach heraldisch rechts „fliegend“; andere Flugrichtungen und in der Flugdarstellung „aufgerichtete“ Flügel sind zu melden.
Die Figur Möwe wird bevorzugt in Silber oder Naturfarbe dargestellt (in letzerem Fall teilweise in Grau). Sind bestimmte Körperteile durch eine kontrastierende heraldische Farbe hervorgehoben, ist dies stets zu melden (zum Beispiel: „rot bewehrt“). Sie erscheint im Wappenwesen nicht nur in Einzahl, sondern auch in Mehrzahl. Die genaue Anzahl und die Stellung der Möwen zueinander sollten gemeldet werden.
Geschichte
In der Frühzeit des Wappenwesens ist eine Möwenfigur nicht gebräuchlich; erst im 14. Jahrhundert (womöglich ein wenig früher) finden sich in Wappen Vogelfiguren, die sich als Möwen interpretieren lassen. Beispielsweise erscheint das Motiv ab dem 14. Jahrhundert als Nebenfigur im Wismarer Siegel/Wappen und als sprechende Hauptfigur im Siegel der Stadt Mewe.
14. Jhr.: Möwe als Nebenfigur (Wismarer Siegel)
1995: Auf dem Bug der Kogge eine linksgekehrte widersehende natürliche Möwe (Wismarer Wappen)
Als Hauptmotiv wird die Wappenfigur „Möwe mit Fisch“ im sprechenden Wappen von Gniew (deutsch: „Mewe“, „Möwe“) von Gritzner auf das Jahr 1450 datiert[2] (andere Quellen verweisen auf ein Siegel aus dem 14. Jahrhundert). Die Figur wird im Laufe der Wappengeschichte sehr unterschiedlich aufgerissen (in Form eines Fischreihers, mit angeschlossen oder ausgebreiteten Flügeln, auffliegend oder flugbereit, teils heraldisch, teils natürlich tingiert et cetera).
- Wappenaufrisse von Gniew (dt.: »Mewe«, »Möwe«)
1920: Auf grünem Hügel auffliegende Möwe mit Fischfang (Schwungfedern erhebend, Flügel ausgebreitet; nach Otto Hupp)
Fliegende Möwe
Die Normalform einer „fliegenden“ Möwenfigur ist in der neueren Heraldik einer aerodynamisch segelnden Möwe nachempfunden („Möwe im Segelflug“); andere Flugformen sollten gemeldet werden.
- Nach rechts fliegende Möwe
Kreis Schleswig
(1930 bis 1974)
Oben eine fliegende silberne Möwe (Amt Marne-Nordsee
)
Im Schildhaupt: silberne, fliegende Möwe (Elisabeth-Sophien-Koog
)
Oben: silbernee fliegende Möwe (Sierksdorf
)
Oben: silberne fliegende Möwe mit schwarzen Beinen (1958-1980: Lokalahden vaakuna
)
Drei fliegende Möwen (1:1:1) (Haugesund
)
Oben: Drei fliegende Möwen (2:1) (Kaiser-Wilhelm-Koog
)
- Nach links fliegende Möwe
Oben: nach links fliegende silberne Möwe mit goldenem Schnabel (Karlshagen
)
(Jurmala
)
Fliegende Möwe mit aufgerichtetem Flug
Eine Möwenfigur mit aufgerichtetem Flug/Flügeln ist stets zu melden.
Ab 1952: (Brändön vaakuna
)
1971: Fliegende silberne Möwe mit aufgerichtetem Flug ((Nienhagen (Landkreis Rostock)
))
drei (2:1) fliegende silberne Möwen mit aufgerichtetem, schwarz-silbern auslaufendem Halbflug (Kühlungsborn
)
Auffliegende Möwe
In Blau auffliegende silberne Möwe (Hasvik
)
Möwe mit Nebenfigur
Die Möwenfigur wird in historischen Wappendarstellungen teilweise mit Fischfang dargestellt, den sie im Schnabel hält; anderweitige Stellungen des Fischfangs sind anzuzeigen. Beispielsweise erscheint im mauerbekrönten Schild des Wappens von Sopot (deutsch: „Zoppot“) eine silberne Möwe mit gespannten Flügeln auf blauem Grund auf einem goldenen Sandhügel, wobei sie auf einem silbernen Dorsch zu stehen scheint oder sich auf diesem niederläßt, um an ihm herumzupicken.
- Möwe mit Fischfang auf Sandhügel
2017: Aktuelles Wappen von Sopot
(Herb Sopotu)
Möwe als Helmkleinod
Möwe als Schildhalter
Unheraldische Möwen


Zuweilen wird die Stilisierung der Wappenfigur Möwe in wappenähnlichen Aufrissen zu weit getrieben; das Motiv erscheint nur noch als eine Art Strich/Umriss beziehungsweise als „geschwungenes Etwas“, das alles Mögliche sein kann und manchmal unpräzise als sogenannte „Möwe in Form eines ‚M‘“ beschrieben wird. Entsprechende Motive sind im Grunde unheraldisch, weil sie gegen mehrere heraldische Gestaltungsgrundsätze wie den der guten Fernwirkung verstoßen und im Blason oft missverständlich beschrieben sind.[4] Beispielsweise sind die vorgeblichen „Möwen“ in den paraheraldischen Zeichen von Nieby, dem Amt Gelting oder Pellworm nicht zweifelsfrei als Möwenfiguren erkennbar, sondern könnten auch beliebige andere Vogelwappenfiguren oder andere Motive darstellen. Ein besonders drastischer Stilbruch findet sich im wappenähnlichen Zeichen von Schollene: Vorn ein -- heraldisch einwandfrei stilisierter -- roter golden bewehrter Adler am Spalt mit goldenem Kleestengel auf dem Flügel; hinten drei Möwenfiguren, die eigentlich ähnlich wie der Adler dargestellt werden sollten, in dem Aufriss aber zu drei Zickzack-Strichen in Form eines „M“ verkommen, die mit heraldischen Prinzipien nicht vereinbar sind.
Vorne: Übereinander drei unheraldisch stilisierte silberne Möwen im Flug (Nieby
)
Unten: 10 unheraldisch stilisierte, links 5x pfahlweise, in der Mitte 3x pfahlweise und unten 2x balkenweise gestellte Möwen (Amt Gelting
)
Drei schwarze unheraldische Möwen (Pellworm
)
Links oben: Unheraldische Möwe (ehemaliges Amt Schlei
)
Auch die nach links fliegenden „Möwenfiguren“ in den Hoheitszeichen von Molfsee und Amt Molfsee sind -- obwohl sie sich einer heraldischen Stilisierung annähern -- nach den Gestaltungsgrundsätze der Heraldik zumindest fragwürdig aufgerissen. Das gleiche gilt für die Zeichen von Brodersby, Steinberg und anderen Kommunen.
Nach links fliegende Möwe mit rechtem Flügel aus 6 fächerförmig hintereinander gestellten Flügelsilhouetten (Amt Molfsee
)
Oben: nach links fliegende silbernen Möwe (Molfsee
)
Oben: silberne Möwe im Flug (Brodersby (Angeln)
)
Unten: fliegende blaue Möwe (Steinberg (Schleswig)
)
Flugbild eine Möwe
Das Flugbild einer Möwe beziehungsweise eine Möwe in verwechselten Farben in Draufsicht erscheint im Wappen von Neppermin. Flugbilder
sind durch die heraldische Stilisierung in Wappenaufrissen nicht immer zweifelsfrei einem bestimmten Vogel oder eine bestimmten Vogelfamilie (wie den „Möwen“) zuzuordnen und bergen ein hohes Risiko für eine fehlerhafte Bestimmung der entsprechenden Wappenfigur. Nach Heraldikern wie Walter Leonhard sind sie unheraldisch.[5]
Paraheraldik
Die „Möwe“ ist auch in der Paraheraldik als Motiv gebräuchlich, zum Beispiel als Regimentszeichen der 413th United States Army Reserve oder als Zeichen des schwedischen Marine Patrouillenboots HMS Spejaren (P162):
Wappenbilderordnung
- Die Figur Möwe wurde in die Wappenbilderordnung (WBO) des Herold (Verein) im Abschnitt Andere Wildvögel unter der Nr. 4331 aufgenommen.
Weblink

Einzelnachweise
- ↑
Lemma Seemöwe. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
- ↑ J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 271
- ↑ Eintrag zum Wappen von Möwe (Wappentier) in der Datenbank des Hauses der Bayerischen Geschichte
- ↑ Vgl.: Biewer, Ludwig; Henning Eckart: Berliner Erklärung des Herold (Verein) über heraldische Gestaltungsgrundsätze vom 24. April 2009. In: Wappen: Handbuch der Heraldik. 20. Auflage. Köln, Weimar, Wien. 2017. S. 158 ff.
- ↑ Walter Leonhard: Das grosse Buch der Wappenkunst. Entwicklung, Elemente, Bildmotive, Gestaltung. Callway, München 1978, ISBN 3-8289-0768-7, S. 231 (Genehmigte Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH: Bechtermünz, Augsburg 2000).