Stiefel (Heraldik)

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Stiefel
 
faktisch
(etwa 1655: drei Paar Stulpenstiefel)
 
in der Heraldik
(Stulpenstiefel; redendes Wappen der Familie Stiefel; Entwurf/Gestaltung: © Andreas Janka)

Der Stiefel (auch „Stiebel“, „Schuh mit Schaft“, „Langschäfter“, „Reiterstiefel“, „Boots“, „Bottinen“ oder ähnlich genannt; lateinisch aestivale; mhd. stival, stivāl, stivel; ahd. stival; altfrz: estival/estivel; französisch botte; englisch boot; italienisch stivale; spanisch estival) ist im Wappenwesen eine seltene gemeine Figur.

Stiefel: einige Male in Wappen, wenngleich selten (..)“

Siebmacher/Gritzner (1889)[1]

Darstellung

Hinten: linksgekehrter Stulpenstiefel, pfahlweise durchbohrt mit gestürzten Pfeil
(Wappen der Familie Janka)
1418: Stiefel mit Sporn (die Anbetung der Könige; Ausschnitt)

Die Figur Stiefel ist -- heraldisch stilisiert -- der gleichnamigen Fußbekleidung beziehungsweise einem Schuh nachempfunden, dessen Schaft (Oberteil des Schuhs, in Abgrenzung zum Schuhboden) bis mindestens über den Knöchel, meist über die Waden bis zu den Knien oder sogar darüber hinaus reicht (entsprechendes Schuhwerk kam etwa ab dem 12. und 13. Jahrhundert auf und gehörte jahrhundertelang zu den gehobenen Gütern für wohlhabende Schichten).

„(..) Stiefel steht von Anfang an im Gegensatz zu Schuh. Während dieser nur zum Schutze des Fuszes dient, reicht jener bis an den Unterschenkel oder noch höher hinauf (..)“

Wörterbuch der Gebrüder Grimm (1854-1960)[2]

Die Figur erscheint in der Normalform mit der Schuhspitze nach heraldisch rechts gerichtet und als einfacher Schuh mit hohem, nach oben verlängertem „Rohr/Schaft“. Im Schild/Feld ist die Figur Stiefel oft zweidimensional, wird aber auch perspektivisch, mit einem eindeutig räumlichen Schaftrand aufgerissen.

Bei der Wappenbeschreibung kann es notwendig sein, den allgemeinen Ausdruck „Stiefel“ genauer zu fassen, um die für das Wappenbild wesentliche Figur zu präzisieren und einzugrenzen. Beispielsweise bestimmt Maximilian Gritzner die Figur Stiefel auf dem dritten Helme der Reussischen Freiherren von Bursian als

„(..) „Polnischer Reiterstiefel mit Sporn“ zwischen zwei Flügeln

Siebmacher/Gritzner (1889)[1]

Weitere Kriterien, nach denen im Blason unterschieden werden könnte, sind zum Beispiel:

Kategorie/Kriterium Möglicher Ausdruck in einer Wappenbeschreibung (Beispiele)
nach Schaftschnittform Stulpenstiefel, Stiefel mit Kropfschnitt, Stiefel mit Seitenteilschnitt
nach Besonderheit Schnürstiefel, Stiefel mit Schnalle, ...
nach Schaftlänge Stiefelette, Halbschaftstiefel, Langschaftstiefel, Überkniestiefel ...
nach Verwendungszweck Reitstiefel, Jagdstiefel, Wanderstiefel ...
nach Material Lederstiefel, Holzstiefel, Filzstiefel, Fellstiefel ...
nach Eigenname Hessenstiefel, Wellingtonstiefel, Bottine, Jakobinerstiefel ...

Verzierungen und Besonderheiten der Figur Stiefel („mit Stulp“, „mit Sporen“, „mit Schnür-, Knöpf-, Schnallenverschluss“ oder ähnliches) sollten stets gemeldet werden. Alle heraldischen Farben sind bei der Darstellung eines Stiefels in Wappen gebräuchlich, Schwarz oder Gold (seltener Silber oder Rot) sind bevorzugt.

Triskele mit Beinen in hohen Schaftstiefeln mit Stulp
(Wappen Johanne Rauchfuss;
Foto: © Dr. Bernhard Peter)

Triskele mit Stiefeln

HW Gtk-go-forward-ltr.png Hauptartikel: Triskele

Die Figur Triskele kommt in der Heraldik gewöhnlich mit nackten, geharnischten oder menschlichen Beinen in BeinlingenW-Logo.png vor; auf den Wappenseiten von Bernhard Peter findet sich das Foto einer Triskele, bei der die drei Beine „gestiefelt“ sind:

„Das nicht in den Standardsammlungen verzeichnete Wappen Rauchfuß zeigt eine Triskele, drei (2:1) dreipaßartig miteinander verbundene, gestreckte Beine in hohen Schaftstiefeln mit Stulp, alle Füße im Uhrzeigersinn gestellt, um das Fußgelenk jeweils Reitersporen geschnallt. Hier sind die Beine im Gegensatz zu (anderen Wappen mit Triskelen -- Anmerkung der Redaktion) durchgestreckt.“

Bernhard Peter (2010/2016)[3]

Stiefel als Nebenfigur

Die Figur Stiefel erscheint häufig als Nebenfigur beziehungsweise als Bestandteil einer anderen Wappenfigur (zum Beispiel, wenn ein Mann in einem Wappen dargestellt wird).

Stiefel in der Helmzier

alternative Beschreibung
um 1480, in der Helmzier: Flickschuster (Altreussen), der einen Stiefel repariert
(Wappen Russ von Büchparten)

Das Motiv Stiefel ist in Ein- oder Zweizahl in der Helmzier eines Wappens anzutreffen (zum Beispiel erscheint in der Deutschen Wappenrolle in der Helmzier der Familienwappen Schuhmacher aus Broich, Nr. 8562/86 und Woll aus Gemweiler, Nr. 9712/94 jeweils ein gekrönter Stiefel). Im frühen 14. Jahrhundert führen die Brüder und Ritter Richard und Wirich von Buch einen gestürzten Stulsptiefel mit Sporn in der Helmzier ihres Wappens. In einer besonderen Weise wird der Stiefel in der Helmzier des redenden Wappens der Russ von Büchparten mit einer weiteren Figur kombiniert: Ein Flickschuster (alias Altreussen, was auf den Namen Reuss/Russ verweist) repariert einen Stiefel mit seinem Schustermesser.

Die von Ehrenberg führen Mitte des 15. Jahrhunderts in der Helmzier zwei abgekehrte goldene Stiefel mit roter beziehungsweise schwarzer Riemenschnürung:

Lerse

etwa 1840: Figur Lerse
(Wappen derer von LeersW-Logo.png)

Von einem gemeinen Stiefel ist die Figur Lerse (auch Lederse oder ähnlich genannt; niederdeutsch: lêrse) abzugrenzen. Letzere ist dem IdealbildW-Logo.png von ledernen, „weiten hohen Stiefeln zum Überziehen“[6] nachempfunden. Sie stellen eine Art von „GamascheW-Logo.png, BeinlingW-Logo.png, Beinschiene“ beziehungsweise Kleidungsstücke dar, die an das Schuh-/Stiefelwerk anschließen und die Beine bis über das Knie bedecken (ähnlich wie Hosenbeine). Die Figur Lerse erscheint beispielsweise im redenden Wappen der Familie von LeersW-Logo.png: zwei ins Kreuz gelegte, mit den Füßen nach unten und einwärts, mit den umgebogenen Schenkeln nach oben und einwärts gekehrte Lersen.

Symbolik

Berufswappen, Zunftzeichen

1898: Berufswappen mit Stiefel
(nach Siebmacher, Auswahl)

Spätestens seit dem Spätmittelalter (13. bis Ende 15. Jhr.) ist der Stiefel als Handwerkszeichen gebräuchlich; seit dem 16. Jahrhundert erscheint das Motiv in großer Menge und in zahlreichen Ausprägungen (sowohl alleinstehend als auch in Kombination mit anderen Schustersymbolen) in den Zunftwappen und Berufswappen der Schuhmacher, beispielsweise:

„(..) Einen Stiefel schlechtweg führen

  • das Schuhmacher-Gewerk in Potsdam (neueres Siegel)
  • die Schusterzunft in Mörs (im gekrönten Schilde)
  • die Zunft zu Schuhmachern in Zürich
  • die Schuhmacherzunft von Stadt und Amt Lauterburg (..)“
Siebmacher (Berufswappen; 1898)[7]

Allgemeine Symbolik außerhalb der Heraldik

Im Laufe der Jahrhunderte und der Kulturen wird dem Motiv „Stiefel“ eine Vielzahl symbolischer Bedeutungen, Redwendungen und Sprichwörter zuerkannt. Beispielsweise steht der Stiefel außerhalb der Heraldik für:

Symbolgehalt (Auswahl) Erläuterung, Redewendung
Schnellfüßigkeit Insbesondere in der tibetisch-buddhistischen Ikonografie kann man mit Stiefeln große Entfernungen in kürzester Zeit zurücklegen[8]
Widersprüchlichkeit „zwei Paar/zwei verschiedene/zweierlei Stiefel sein“;
umgangssprachlich für: [zwei] ganz verschiedene, nicht miteinander vereinbare Dinge
Gewalttätigkeit im Zusammenhang mit dem Folterinstrument Spanischer StiefelW-Logo.png und dem Treten mit „Springerstiefeln“, welche spätestens seit den 1990er Jahren ein Synonym für gewaltätigen Rechtsextremismus sind.
Unterwürfigkeit, Kriechertum „jemanden die Stiefel lecken“
Überraschung, Staunen, Sprachlosigkeit „jemanden aus den Stiefeln hauen“ (sprachlos machen)
Standhaftigkeit, Trinkfestigkeit einen [tüchtigen/gehörigen/guten o. ä.] Stiefel vertragen/trinken [können];
umgangssprachlich: „viel Alkohol vertragen [können]“, „standhaft sein“, „sich nicht unterkriegen lassen“)
Misslaunigkeit „Stinkstiefel“, das ist ein Mensch, der oft missgelaunt ist, diese schlechte Laune verbreitet.
Verärgerung „jemandem in die Stiefel scheißen“ (derb: jemanden in hohem Maße „verärgern“)
Einbildung „einen Stiefel einbilden“ (veraltet: „sehr eingebildet sein“)
Unsinnigkeit „rede (oder: schreibe, erzähle, spiele usw.) nicht so einen Stiefel [zusammen]!“; umgangssprachlich: „schlecht, in unsinniger Weise reden, schreiben, spielen usw.“;
Sinnliche Anziehung, Erotik
Ballet boots2.jpg
„Stiefel können bei manchen Menschen erotische Assoziationen erzeugen“[9] (beispielsweise BallettstiefelW-Logo.png, die zu den sogenannten „Fetischschuhen“ zählen).
vgl.: Boot fetishismW-Logo en.png.

Pfeil durchbohrt Schuh (Stiefel)

Was die jahrhundertealte Symbolik eines Pfeils bedeutet, der einen Schuh (Stiefel) durchbohrt, ist im Einzelfall schwierig zu beantworten. Das Archivum heraldicum gibt darauf 1951 folgende allgemeine Antwort:

„Auch der den Schuh durchbohrende Pfeil hat der Deutung Schwierigkeiten bereitet. Bald durchbohrt er den Schuh von unten wie auf mehreren Wappen unsere Scheibe, bald von oben. Die gemeine Figur lässt sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Wir finden sie schon 1385 im Siegel der Schusterzunft in Danzig, später, im 17. Jahrhundert, in den Schusterwappen von Wien, Ligisbach und Hersbruck. Besonders im Elsass war der vom Pfeil durchbohrte Schuh ein häufiges Kürschnerwappenzeichen im 17. Jahrhundert, so in Molsheim, Weissenburg, Landau usw. Die beste Erklärung hat Fr. Geiges gegeben, der darauf hinweist, dass man in Schweden von einem gutsitzenden Schuh sagt: „däri kann man springa som en pil“. Der Pfeil ist also ein Symbol der Schnelligkeit; man kann in guten Schuhen pfeilgeschwind laufen.“

Archivum heraldicum (1951-57)[10]

Andere Quellen verweisen auf die Legenden/Sagen rund um den fiktiven Schuhmachergesellen Hans von SaganW-Logo.png, der durch seine Tapferkeit die Schlacht bei RudauW-Logo.png in den LitauerkriegenW-Logo.png im Jahr 1370 zugunsten des Deutschen Ordens entschieden haben soll:

„Als durch das Sinken eines Banners Verwirrung in den Reihen der Deutschen entstand, ergriff der Schuhmachergeselle die Fahne und trug sie unerschrocken den Truppe voran, sie dadurch zu neuem Vordringen anfeuernd. Für seine Tapferkeit wurde Hans von Sagan, der im Kampfe durch einen Pfeilschuß am Fuße verwundet wurde, vom Hochmeister geadelt. So wird der von einem Pfeil durchbohrte Schuh, der sich häufig auf Schustersiegeln findet, an dies geschichtliche Ereignis anknüpfen (..)“

Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung (1963)[11]

Wappenstifter des 20./21. Jahrhunderts, in deren Wappen ein Pfeil einen Schuh durchbohrt, legen diesem Motiv teilweise eine ganz andere Symbolik bei. Beispielsweise symbolisiert der Pfeil im 2009 neugestifteten Wappen der Familie Janka, die bis ca. 1545 in Mähren nachgewiesen werden kann, die Vertreibung der Schuhmacherfamiliendynastie aus der angestammten Heimat im Jahre 1945/46.

Wappenbilderordnung

Siehe auch

Weblinks

Commons: Stiefel in der Heraldik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise, Literatur und Quellen

  • Herrn Bernhard Peter ein herzliches Dankeschön für wertvolle Gedankenanstöße.
  1. Hochspringen nach: 1,0 1,1 J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch, Einleitungsband, Abteilung B: Grundsätze der Wappenkunst verbunden mit einem Handbuch der heraldischen Terminologie (Maximilian Gritzner). Nürnberg: Bauer & Raspe, 1889. S. 119
  2. Blason ville fr Garidech (Haute-Garonne).svg Lemma Stiefel. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
  3. Show-handle-HW.png Bernhard Peter: Besondere Motive: Triskele (Dreibein). Internet: www.welt-der-wappen.de (früher: www.dr-bernhard-peter.de). Abgerufen am: 18. Januar 2017.
  4. Nachzeichnung nach einer Abbildung aus: Gruber, Otto: Wappen des mittelrheinisch-moselländischen Adels. Trier 1962-1965. Inkl. Nachtrag. Trier 1967
  5. Heraldische Farben frei ergänzt in Anlehnung an das Wappen im Mosaik an der Fassade des Gemeindehauses von Buch im HunsrückW-Logo.png
  6. Blason ville fr Garidech (Haute-Garonne).svg Lemma Lerse. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1960 (woerterbuchnetz.de).
  7. J. Siebmacher's grosses und allgemeines Wappenbuch. I. Band 7. Abteilung. Gustav Adelbert Seyler: Berufswappen. Nürnberg: Bauer & Raspe, 1898. S. 56 ff.
  8. Nientiedt, Susanne: Schwarzer Mantel: Wissenswertes über Mahakala Bernagchen. 2008. S. 33
  9. Seite „Stiefel“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. November 2016, 02:11 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Stiefel&oldid=159908273 (Abgerufen: 16. Januar 2017, 23:32 UTC)
  10. Société suisses d'héraldique: Archivum heraldicum. Volumes 65-69. 1951-57. S. 7 ff.
  11. Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung. Volumes 8-10. 1963. S. 40